Erzählchen aus der Wahlarbeit,
Teil 1:
Die Polente
Vor dem Jobcenter von Neukölln sammelte ich Unterschriften für die
Kandidatur von U.P..
Plötzlich kamen zwei der blau-behemdeten Wärter, die wie Pitbulls
(1) das
Jobcenter, besser seine Opfer, die sog. "Kunden", bewachen, auf mich zu um
mir mitzuteilen, ich müsse den Platz verlassen. Er gehöre zum Jobcenter
und ich hätte keine Genehmigung zum Sammeln von Unterschriften dort.
Ich antwortet, dass ich kein Tor, keinen Zaun, keine Schilder oder
dergleichen sähe und daher selber nicht ersehen könne, ob ihre Angaben
stimmen - und dass sie mir doch bitte einen Lageplan oder eine
schriftliche Anweisung ihres Amtes geben sollten. Vorher ginge ich nicht
weg. Äußerlich ungerührt, innerlich aber höchst belustigt, sammelte ich
dann meine Stimmen weiter.
Das ging so etwa eine viertel Stunde, dann kamen sie zu fünft, umstellten
mich und sagten: „So, jetzt ist aber wirklich Schluss!“ Ich lachte und
sagte: „Meine Herren – was soll das heißen: `Jetzt ist aber wirklich
Schluss`? - Was wollen Sie tun, wenn ich einfach weiter sammle?“ Ein
verdutztes Schweigen war die Antwort und ich neckte weiter: „Wenn ich
nicht freiwillig gehe – haben Sie im Keller schon so spannende Räume mit
Waterboarding oder so?“ –
Da platze dem Ober-Pitbull der Kragen und er sagte: „Nein: Dann holen wir
die Polizei!“
Da lachte ich wieder und sagte: „Das ist doch eine großartige Alternative
– und bis dahin darf ich sicher weiter sammeln“, ging mit freundlichem
Gruß aus ihrer Umzingelung heraus – und sammelte weiter.
Einige der „Kunden“ des Jobcenters fanden die Aktion bis hier schon so
toll, dass sie an den Pitbulls vorbei direkt zu mir kamen und fragten, was
denn los sei, sich den Zweck der Unterschriftensammlung erklären ließen
und genussvoll unterschrieben.
Als wir so standen, beratschlagten wir, was denn zu machen sei, wenn die
Polizei bald käme.
Da meine Unterschriften-Formulare zur Neige gingen, bat ich, einer möge
die Straße bewachen und mir das Erscheinen der Polizei melden. Ich würde
dann einfach zum Kopieren gehen und die Pitbulls würden übel angesehen,
wegen ausgelösten Fehlalarms. Wäre die Luft wieder „rein“, würde ich
wiederkommen und weitersammeln wie bisher.
So war der Plan. Die Wirklichkeit war anders. Statt eines Polizeiautos mit
vielleicht zwei Polizisten, welches irgendwo anparkt und man kann sie
beobachten und sich gemütlich vom Acker machen, kam plötzlich ein ganzer
großer Trupp von Polizisten (10? 15?) um die Ecke gerannt, mit Helm,
wattierter Kampfjacke und Schlagstock, und besetzten im Nu den Platz. Den
Einsatzwagen hatten sie zuvor unsichtbar in einiger Entfernung geparkt. Da
war natürlich kein Entkommen möglich.
Da ich aber allerbester Laune war, begrüßte ich sie lachend und rief: „Die
Polizei, mein Freund und Helfer! – Sie ALLE wollen helfen, dass ich meine
Stimmen kriege?“
„Von wegen“ sagte der Hauptmann trocken und fragte, was ich täte. Ich zeigte ihm
die Formulare mit all den schönen amtlichen Stempeln und sagte, ich sei in
öffentlichem Auftrag hier. Er war dann etwas irritiert und fragte, warum
man ihn dann geordert habe. Ich tat, als wenn ich gar nichts wüsste.
Inzwischen plusterte sich aber einer der in einiger Entfernung stehenden Pitbulls
auf, um das Interesse des Polizisten auf sich zu ziehen, und informierte
ihn dann über meine Missetat.
Der Hauptmann kam zurück und sagte, dass ich den Platz verlassen solle,
weil er nicht öffentliches Gelände sei.
Da schaute ich ihn harmlos an und sagte: „Det sagen diese Herren da drüben
- aber sind SIE sicher, det dies keen öffentlichet Jelände ist?“ Da
guckte er verdutzt, die Anspannung wich aus seinem Gesicht und er lachte
auf berlinerisch: “Ne, det wees ick ooch nich …“
Ab da verstanden wir uns prächtig und wir verhandelten, was jetzt am besten
wäre.
Er: „Also, egal ob öffentlich oder nicht, ich gebe ihnen jetzt die
polizeiliche Anordnung, diesen Platz zu verlassen.“
Ich: „Was wird wohl der Richter sagen, wenn ich das nicht mache?“
Er: „Ich weiß es nicht – aber ICH würde Ihnen eine hohe Strafe geben, wenn
ich Richter wäre“ - usf.
Nun soll man so schnell entstandene Freundschaften nicht überstrapazieren,
zumal es nicht nur ein, sondern ein ganzer Trupp von Polizisten war, der
mich da umstellte. Ich machte noch Scherze über das Jobcenter, wie
gewissenhaft es seinen Auftrag zur Vollbeschäftigung erfülle, denn
schließlich wären ja so viele Polizisten hier – dann ließ ich mich
bewegen, den Ort zu wechseln. Etwa 10 Meter von meinem Standort, an einer
Treppenstufe, hörte das als privat bezeichnete Gelände auf. Dort durfte
ich dann stehen und weitersammeln.
An dieser Stelle ergab sich für mich aber eine völlig neue Situation:
Anstatt wie bisher nur an einer Türe zu stehen und einzelne Menschen
anzusprechen, lag nun das ganze Amt vor mir. Links war der Eingang, hinter
dem sich in vielen Reihen wartende Menschen vor irgendwelchen Schaltern drängten. Rechts
standen Fenster zu Wartesälen offen, in denen die Wartenden dann schon
sitzen durften. Oben waren die Fenster der Sachbearbeiter usf.. Ich stand
nicht mehr einzelnen Menschen sondern dem ganzen Amte gegenüber.
Da sprach mein Herz: „Und jetzt die Maske runter“ und ich begann mit
größter Stärke und Ruhe folgend Sätze zu rufen:
Ich sammle hier Stimmen für das bedingungslose Grundeinkommen.
Grundeinkommen ist die herankommende neue soziale Revolution.
HIER werden wir behandelt wie Verbrecher.
Hartz IV ist offener Strafvollzug.
Unsere Konten werden gefilzt.
Jede unserer Bewegung wird kontrolliert.
Wir dürfen die Grenzen von Berlin nicht verlassen.
In der DDR durfte man noch bis an die Grenzen des Staates gehen.
Hier ist an den Grenzen der Stadt schon Schluss.
Mütter, die ihre Kinder versorgen wollen, dürfen dies nicht,
sondern
werden statt
dessen in unsinnige Arbeiten hinein gedrängt.
JEDE Arbeit, die hier verteilt wird, ist SINNLOS.
Sonst würde sie nicht HIER verteilt.
Ein-Euro-Jobs sind unterhalb der Menschenwürde!
… usw. usf.
Wellenweise, wie Meeresbrandung, gingen diese – und weitere, die Sanktionen
und Aussetzung der Menschenrechte betreffende - Sätze zum Amt. Und wellenweise, wie Meeresbrandung, kamen sie als Echo zurück. Das hatte nun
zur Folge, dass die Menschen in der Wartehalle plötzlich alle am Fenster
standen und zuhörten. Oben öffneten sich die Fenster der Sachbearbeiter
und sie schauten verdutzt heraus. Und die Polizisten und die Pitbulls
waren sehr verblüfft. Sie fühlten aber, dass sie die Wirkung meines
Auftritts nur verstärkten, wenn sie weiter in Sichtweite blieben. Und da
ihnen so schnell kein Gesetz einfiel, welches mir mein Rufen untersagte, zogen sie in Eile ab.
Nachdem ich geendet hatte kamen etliche Leute – einige Mutige kamen schon
durch den Kordon von Polizisten hindurch - und unterschrieben meine
Formulare.
Es war ein echtes Rudi-Dutschke-Feeling, das mich da ergriffen hatte.
Leider hat diesen Auftritt niemand gefilmt.
Sehr erfreut hat mich die Reaktion einer jungen Mutter, die mit ihrem Kind
fast wie zu einem Gottesdienst geschritten kam und vor dem Unterschreiben
sagte, es wäre ihr eine Ehre, bei solch einer wichtigen Aktion mitzuwirken.
Und ebenso erfreut hat mich die schlussendliche Reaktion eines Mannes, der
zunächst höchst wütend aus dem Wartebereich auf mich zu rannte und mich
anschrie: „Was brüllst Du hier die ganze Zeit für einen Scheiß?“ - Da ich
in aller Entschiedenheit aber doch leicht und versöhnlich gestimmt war,
fragte ich ihn lachend: „Haben Sie schon vom Konzept des bedingungslosen
Grundeinkommens gehört?“ Da sagte er überraschend „Nein“ … und ließ sich
das Konzept erklären … Die von ihm dann gegebene Unterschrift wiegt in
meiner Erinnerung schwer.
Berlin, den 01.09.2009
Ralph Boes
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(1) Ich wurde gebeten, die
"Pitbulls" aus dem Text zu nehmen, weil den Namen der Hunderasse auf die
Staatsmacht zu beziehen eine Beleidigung für ... ... ... die Hunderasse
(!) ist. Lach. Pitbulls seien nicht die gefährliche Rasse, zu
der sie in der Presse hochgeredet würden. Die wenigen Ausnahmen seien von
Idioten besonders scharf gemacht.
Ich anerkenne das Argument des engagierten Hundehalters mit innerem
Lachen. Wenn ich den Begriff hier dennoch stehen lasse, dann vielleicht
mit der - versöhnlichen - Anmerkung, dass dasselbe vielleicht auch für die Wärter gilt.
:-)
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